Kommentar zum Gerichtsurteil zum Kükentöten: Auf den Hahn gekommen

Nach dem Gerichtsurteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Juni 2019 (BVerwG3C28.16) dürfen weiterhin männliche Küken getötet werden, nur weil sie keine Eier legen und schlecht Fleisch ansetzen. Wirtschaftliche Interessen dürfen jedoch nicht das Töten von Küken zur Folge haben – das finden auch immer mehr Verbraucher*innen. Jetzt sind sie, aber auch der gesamte Handel, insbesondere die Biobranche, in der Verantwortung. Inga Günther, Geschäftsführerin der Ökologischen Tierzucht gGmbH (ÖTZ) appelliert, dabei auf richtige Alternativen zu setzen und spricht sich dabei gegen die In-Ovo-Selektion aus.

Für Inga Günther bedeutet die Geschlechtsbestimmung im Ei sogar eine „Verschlechterung der Zustände“, da bei dieser Methode eine Verwertung wie beim „Futterküken“, das in Zoos oder Adlerwarten verfüttert wird, nicht möglich sei – und das Kükentöten zudem nur vorverlegt würde. Echte Lösungen sind hingegen die Bruderhahnaufzucht sowie Zweinutzungshühner, die sowohl Eier legen als auch Fleisch ansetzen. Ein solches echtes Zweinutzungshuhn für die Biobranche züchtet die ÖTZ, ein gemeinsames Projekt von Biolandund Demeter. Schon heute bietet die Ökotierzucht mit den ÖTZ-Hühnern und Hähnen eine ganzheitliche Lösung, bei der die männlichen Tiere aufgezogen werden und ihr Fleisch als kostbares Lebensmittel kulinarisch und finanziell wertgeschätzt wird. „Damit starten wir nicht weniger als eine Revolution in der Geflügelhaltung. Wir setzen zu hundert Prozent auf Bio und Tierwohl von Anfang an – mit konzernunabhängiger, ökologischer Tierzucht in Bauernhand“, so Günther.

„Essen Sie weniger Geflügelfleisch, dafür aber hochwertiges! Fragen Sie nach, ob Eier und Fleisch ökologisch und mit Hahnenaufzucht erzeugt wurden. Damit der Bruderhahn leben kann, muss er gegessen werden – bei einem Hahn pro Verbraucher und Jahr wäre das Kükentöten passé“, appelliert Inga Günther an Verbraucher*innen. „Jeder entscheidet an der Ladenkasse, wie sehr einem das Tierwohl am Herzen liegt.

“Aber auch die Bio-Branche ist gefragt: „Um diese Revolution bis auf die Teller zu bringen, müssen sich die Akteure der Bio-Branche zusammentun und gemeinsam für die Aufzucht männlicher Tiere eintreten.“ Günther appelliert an alle Beteiligten und vor allem an den Naturkostfachhandel, diese echten Alternativen zum Kükentöten als Chance zu begreifen: „Lasst uns alle genau auf den setzen, der bislang als wertlos aussortiert wird: den Hahn.“

 

Die Alternativen im Überblick:

Mast der Bruderhähne

Seit rund 10 Jahren treten einige Initiativen dafür ein, die Brüder der Legehennen als sogenannte Bruderhähne aufzuziehen und zu mästen. Die bekanntesten Initiativen in Deutschland sind die Bruderhahninitiative Deutschland (BID) im Norden und der „Stolze Gockel“ von Peter Schubert im Süden. In beiden Projekten werden die Hähne 18 bis 20 Wochen gemästet. Mittlerweile gibt es eine breite Palette an Bruderhahn-Produkten (Fertiggerichte im Glas, TK-Waren, Wurst). In beiden Projekten wird die Mast der Hähne durch einen Zuschlag auf die Eier von rund 4 Cent pro Ei subventioniert. Der Verkauf der Fleischprodukte erfolgt in der Regel über die gleichen Wege wie der Verkauf der Eier. Verkaufsstellen des Bruderhahns unter: www.bruderhahn.de/haendlerliste.
Neben den Bruderhahn-Produkten im breiten Handel, bieten immer mehr direktvermarktende Legehennen-Halter ganze Hähnchen und Teilstücke in ihren Hofläden und im Naturkosthandel an.

Zweinutzungshuhn

Einen Schritt weiter geht der Einsatz von Zweinutzungshühnern. Das sind Tiere, bei denen sowohl Hahn als auch Henne ohne Querfinanzierung durch die „andere Seite“ auskommen. Das heißt, der Hahn setzt genügend Fleisch an und die Henne legt genügend Eier, um für einen Öko-Betrieb bei fairen Preisen wirtschaftlich zu sein. Hier gibt es bereits von der Ökologischen Tierzucht gGmbH vielversprechende Herden mit Zweinutzungstieren aus Gebrauchskreuzungen von Lege- und Mastrassen.
Das Zweinutzungshuhn soll und wird unter rein wirtschaftlichen Aspekten nicht die Leistungsfähigkeit der spezialisierten Mast- oder Legelinien erreichen. Für marktnah wirtschaftende Betriebe kann es jedoch eine echte Alternative zu den hochspezialisierten Linien der wenigen großen Zuchtkonzerne sein. Das ÖTZ-Zweinutzungshuhn macht die Landwirt*innen nicht nur unabhängig von den Konzernen, sondern auch von Futtermittel-Importen: Ein Zuchtziel ist, dass Zweinutzungshühner und -hähne mit regionalen Futterkomponenten und Reststoffen der Nahrungsmittelerzeugung anstatt mit Import-Soja gefüttert werden können. www.das-oekohuhn.de

Kommentar der Bruderhahn Initiative Deutschland

Leider zieht das Bundesverwaltungsgericht nicht den letzten, weitreichenden aber konsequenter Weise notwendigen Schluss aus seiner Argumentation und verbietet das Kükentöten ganz. Immerhin ist das Gericht nicht den Vorinstanzen gefolgt und sieht in den wirtschaftlichen Interessen der Brutbetriebe keinen „vernünftigen Grund“ im Sinne des Tierschutzgesetzes mehr für das Töten der männlichen Küken. Warum es dennoch einen anderen Grund konstruiert, der das Töten weiterhin zulässt, ist nicht nachvollziehbar.
Einen „vernünftigen Grund“ sieht das Gericht jetzt in der Vermeidung einer doppelten Umstellung der Brütereien: „zunächst, um mit hohem Aufwand eine Aufzucht der männlichen Küken zu ermöglichen,um dann voraussichtlich wenig später ein Verfahren zur Geschlechtsbestimmung im Ei einzurichten oder ihren Betrieb auf das Ausbrüten von Eiern aus verbesserten Zweinutzungslinien umzustellen“ (PM des BVerwG Nr. 47/2019 vom 13.6.2019). Damit erkennt das BVerwG indirekt doch wirtschaftliche Aspekte an.

Besonders enttäuschend ist diese Entscheidung, weil das Gericht in seiner Abwägung herausarbeitet, dass im Grunde bereits die Nutzung von Legehennenrassen nicht mit dem Tierschutzgesetz vereinbar ist, da dem Leben der männlichen Küken jeder Eigenwert abgesprochen wird und ihre „Nutzlosigkeit“ von vornherein feststeht. Dies ist eine Aussage, die uns und besonders die ÖTZ in ihrer Arbeit bestätigt.
Die aus unserer Sicht konsequente Schlussfolgerung daraus wäre allerdings – statt das Töten doch noch zu rechtfertigen – , dass weder eine Methode wie die Geschlechtsbestimmung im Ei, die weiterhin das Aussortieren der männlichen Küken zum Ziel hat, eine Lösung darstellt, noch ein Fortfahren mit der Praxis des Kükentötens gebilligt werden kann. Echte Alternativen sind vielmehr die oben genannten: übergangsweise Bruderhahnaufzucht und auf lange Sicht die Umstellung auf Zweinutzungsrassen.

 

Pressemitteilung Bruderhahn-Initiative Deutschland (BID) und Ökologische Tierzucht gGmbH (ÖTZ) vom 13. Juni 2019